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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 12.05.2004
Aktenzeichen: 5 Ws 154/04
Rechtsgebiete: StPO
Vorschriften:
StPO § 454 Abs. 2 Nr. 2 |
5 Ws 154/04
In der Strafsache
wegen Raubes u. a.
hat der 5. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 12. Mai 2004 beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluß des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 01. März 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat den Beschwerdeführer am 12. Februar 1998 wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung anderer Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten und wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit schwerem Raub zu einer weiteren Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zwei Drittel beider Strafen sind seit dem 10. März 2004 vollstreckt; das Strafende ist auf den 11. Dezember 2006 vermerkt. Mit dem Beschluß vom 01. März 2004 hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die weitere Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten führt zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer.
Der angefochtene Beschluß kann keinen Bestand haben, da es weiterer Sachaufklärung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO bedarf.
Unter welchen Voraussetzungen das Vollstreckungsgericht nach dieser Bestimmung bei der Prüfung, ob der Rest einer Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, ein Gutachten einzuholen hat, ist umstritten (vgl. zum Meinungsstand Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl., § 454 Rdn. 37 m. Nachw.). Nach dem Gesetzeszweck soll das Gutachten es dem Gericht ermöglichen, die von dem Verurteilten ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit besser einzuschätzen, wenn es eine Strafaussetzung erwägt, sie also in Betracht zieht. Ohne Gutachten darf die Strafaussetzung demnach nur abgelehnt werden, wenn sie nach den gesamten Umständen offensichtlich nicht verantwortet werden kann (vgl. BGH NJW 2000, 1663, 1664 = StV 2000, 263, 264; OLG Köln StV 2001, 30, 31; OLG Celle NStZ-RR 1999, 179; std. Rspr. des Senats, u. a. Beschluß vom 04. Juni 2003 - 5 Ws 230/03 -). Liegt eine Aussetzung dagegen nicht fern, so gebietet die auch vom Bundesverfassungsgericht hervorgehobene Verpflichtung des Vollstreckungsgerichts, sich ein umfassendes Bild von dem Verurteilten zu verschaffen (vgl. BVerfG NStZ 2000, 109 m. Anm. Kröber NStZ 2000, 613), die Einschaltung eines Sachverständigen. Bei Anlegung dieses Maßstabes hält der Senat hier die Einholung eines Gutachtens für angezeigt.
Allerdings sprechen bei der Einschätzung des zukünftigen Legalverhaltens des Beschwerdeführers gewichtige Umstände gegen ihn. Er hat bereits vor den durch das Urteil vom 12. Februar 1998 geahndeten Straftaten häufig gegen die Gesetze verstoßen, ihm eingeräumte Bewährungschancen nicht genutzt und Freiheitsstrafen verbüßen müssen. Die Taten für die er jetzt büßt - Banküberfälle unter Einsatz scharfer Waffen - waren für die Allgemeinheit derart gefährlich, daß bei einer Strafaussetzung erhöhte Zurückhaltung geboten ist. Unverkennbar sind bei ihm auch eine stark ausgeprägte Überzeugung, häufig ungerecht behandelt zu werden, und seine Neigung, einen Teil der Verantwortung für seine derzeitige Situation anderen zuzuschieben.
Zu nennen ist in diesem Zusammenhang schließlich der Alkoholrückfall, der am 20. Oktober 2003 zu seiner Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug geführt hat.
Dem stehen aber die nicht in Zweifel zu ziehenden, seit Jahren anhaltenden Bemühungen des Beschwerdeführers gegenüber, sich günstige Voraussetzungen für die Führung eines sozial eingeordneten Lebens nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug zu schaffen. Dabei mag noch zweifelhaft erscheinen, welches Gewicht dem umfassenden Geständnis, das er nach seiner Festnahme abgelegt hat, und der von ihm geleisteten Hilfe bei der Aufklärung von Taten der Schwerstkriminalität, mit der er sich selbst gefährdet hat, zukommt. Ob diesem Verhalten Einsicht in das Ausmaß der eigenen Schuld und Reue zu Grunde lagen, muß ungewiß bleiben, weil der Beschwerdeführer anschließend bis zu seiner Inhaftierung am 17. November 1998 nochmals, wenn auch ohne Gewaltanwendung, straffällig geworden ist. In den seither vergangenen fünfeinhalb Jahren ist seine Entwicklung aber weitgehend positiv verlaufen. Er hat ungeachtet aller Probleme mit einem für einen Gefangenen ganz ungewöhnlichen Durchhaltevermögen seine Zulassung zum Fernstudium erreicht, das er jetzt betreibt. Auch hat er mit der einen bereits erwähnten Ausnahme zahlreiche Vollzugslockerungen ohne Beanstandungen absolviert und auch sonst im offenen Vollzug keinen Anlaß zu Beanstandungen gegeben.
Aus dem Alkoholrückfall allein sind nach Überzeugung des Senats keine weitreichenden Folgerungen zu ziehen. Zwar hat die Anstaltspsychologin Frau Dr. G. in einem von ihr am 14. Januar 2002 niedergelegten umfangreichen Vermerk ausgeführt, die delinquente Entwicklung des Beschwerdeführers sei eng verknüpft mit einer bei ihm bestehenden Alkoholproblematik, so daß dem erneuten Griff des Beschwerdeführers zum Alkohol durchaus Bedeutung zukommt. Ein einmaliges Versagen auf diesem Gebiet begründet aber noch keine ungünstige Prognose, wenn anzunehmen ist, daß der Betroffene daraus die erforderlichen Lehren gezogen hat.
In dieser Situation erscheint es geboten aufzuklären, ob und inwieweit es dem Beschwerdeführer während des mehrjährigen Strafvollzuges gelungen ist, seine Persönlichkeitsdefizite, die für seine Straftaten ursächlich waren, aufzuarbeiten.
Hierzu gibt es seit dem erwähnten gutachterlichen Vermerk vom 14. Januar 2002 keine aktuellen Erkenntnisse, so daß die Einholung des Gutachtens eines externen Sachverständigen geboten ist. Die Einholung hat die Strafvollstreckungskammer zu veranlassen, an die die Sache zu diesem Zweck zurückzuverweisen ist (vgl. OLG Köln NStZ-RR 2000, 317; Meyer-Goßner, § 454 Rdn. 47). Eine Fallgestaltung, die es ausnahmsweise angezeigt erscheinen läßt, daß der Senat das Gutachten selbst einholt, liegt nicht vor.
Ende der Entscheidung
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